unterwegs. sein.

Weligama

März 2022

Objekt Krieg Subjekt

Gesprächsfetzen am Nachbartisch, ich höre russisch. So viele hör ich. Aber dann – fragt der Kellner (ach tue ich mich schwer, das zu schreiben. Bei Kellner denke ich immer an schwarz-weiß mit Serviette über dem Unterarm, an einem Ort, an den ich nicht gehöre, mich nicht wohlfühle, denn ich möchte essen bei Leuten, die gerne kochen … die hier sind echte Kerle, mit nackten Füßen, freien Schultern und Besitzer eines Restaurants. Der hier ist Mitgründer dieses Ladens, der am Anfang steht, lacht und unterhält und wissen will. Was gut ist. Wer hier sitzt. Und auch das – Restaurant – klingt nicht nach den authentischen Plastikstühlen, den klebrigen Tischplatten und dem herrlich schönen Charme zwischendrin, wo man einfach leckeres gutes Essen frisch gekocht serviert bekommt), wie es ist – mit dem Krieg. 2

Ukrainer*innen.
Ihr Flug ging am 24.2. … sie wollten für 4 Wochen bleiben. Remote arbeiten.
Dann wurde der Flug gecancelt. Er wird morgen nach Berlin zu einem Freund ziehen. Vorübergehend, geht schon. Sie bleibt erstmal. Sie arbeitet für eine britische Firma, er für überwiegend amerikanische Kunden. Froh darüber, weiter. Arbeiten. Was ein Glück. Verrückt. Wird gehen, weiter. Es geht ihnen gut. Sie checken morgens die Nachrichten – die, die jeder mit kriegt. Und die, die die Mutter schreibt.
Froh darüber, dass die Mutter nun im Westen des Landes ist, dort ist es ja sicher. Ja doch, da ist kein Krieg. Doch die Großeltern bleiben. Weil sie wollen. Weil seit 2014 permanente Kriegsangst ihr Leben bestimmt. Nun ist er da, der Krieg. Aber sie auch.
Seine Eltern sind aktuell in München, auf dem Weg nach Basel. Seine Mutter ist Zahnärztin und hofft, in der Schweiz helfen zu können. Ihr Vater ist in Estland. Vielleicht geht sie nach Sri Lanka auch erstmal dort hin.
Viele Freunde sind noch in Kiev. Sie sagen, das Zentrum ist sicher, kein Problem. Die männlichen Freunde sind alle bereit, ihr Land zu verteidigen. Das Gemeinschaftsgefühl war noch nie so stark. So stolz. So vehement.
Selenskyj ist der Held. Nun auch derer, die ihn bisher nur als Komiker gesehen haben. Die Klitschko-Brüder gehen zum Volk in die Subways, um zu helfen. Zuzusprechen. Da zu sein. Mit zu sein.

Ich höre all das, ich frage. Nach. Ich staune und irrglaube und bewundere diese gefühlt betrachtete Naivität. Aus meiner Sicht. Aber … Ich merke. Ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht Teil. Ich bin nicht reingeworfen in eine neue Situation, die es nun zu leben gibt. Auch wenn man selbst nicht im eigenen Land lebt. Was ist das eigentlich, das eigene Identität? Wurzeln, Heimat, Stolz. Es bleibt mir verwehrt, ich wehre mich. Stattdessen bin ich objektiv. Ich beurteile, wahrnehme, verfolge, was mit ZEIT gibt. Aber nicht subjektiv. Welchen Blick habe ich für mein Land? Was würde ich verteidigen … wollen?

Im Zentrum von Kiev wird wieder gearbeitet, Supermärkte wieder offen, alles läuft wieder an, damit die Eigenversorgung gesichert bleibt. Bleiben kann. Sie erzählen das, so wie es mir ZEIT vorlesen würde. Nüchtern, neutral. Wissend, wie die Supermärkte aussehen. Wissen, wer die Kassierer sind. Und die Einkäufer*innen.